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"In Georgien droht ein neuer Krieg"

Knapp zwei Jahre nach dem georgisch-russischen Krieg um Süd-Ossetien ist es still geworden um diesen Konflikt. Doch es sei eine trügerische Ruhe, meint Alexander Sosnowski, Autor des Buches "Das Georgien-Syndrom".
Als die Sowjetunion sich auflöste und Georgien seine Unabhängigkeit verkündete, erklärten sich zwei autonome Regionen Georgiens für selbständig: Abchasien und Süd-Ossetien. Die internationale Staatengemeinschaft hat diese Abspaltung nie anerkannt und betrachtet Abchasien und Süd-Ossetien nach wie vor als Teile Georgiens. Russland jedoch hat die abtrünnigen Regionen unterstützt und, nach dem Krieg mit Georgien, als Staaten anerkannt.
Dieser Krieg begann am 7. August 2008 mit dem Angriff georgischer Truppen auf die südossetische Hauptstadt Zchinwali - nach georgischer Darstellung als Reaktion auf Provokationen südossetischer Separatisten mit russischer Rückendeckung. Der Journalist Alexander Sosnowski, der für die ukrainische Redaktion der Deutschen Welle arbeitet, sieht das anders: "Beide Seiten sind gleichermaßen schuldig."
Präsident Saakaschwili hat seinem Land geschadet
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mit der Bildunterschrift: Georgiens
Präsident Michail Saakaschwili Bei seinen Recherchen in
der Konfliktregion hat Sosnowski Dokumente gesehen und Zeugen
gesprochen, die für ihn eines klar belegen: Der georgische Präsident
Michail Saakaschwili ist keineswegs der Unschuldsengel, als der er sich
während des Konflikts präsentierte. Zu diesem Ergebnis ist auch eine
Kommission der Europäischen Union gekommen, die den Krieg untersucht
hat.
Georgien sei sicherlich provoziert worden - aber Saakaschwili habe sich auch provozieren lassen, habe emotional entschieden statt rational, meint Sosnowski. Das Land habe dadurch viel verloren, nicht nur wirtschaftlich: "Die georgische Gesellschaft ist gespalten, das ist die schrecklichste Sache, die in Georgien passieren konnte." Die ethnischen Spannungen in der Region seien verhärtet, Südossetien und Abchasien für mindestens 20 Jahre verloren, wahrscheinlich für länger, fürchtet der Autor.
Alle Seiten missachten Menschenrechte
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mit der Bildunterschrift: DW-Journalist
und Buchautor Alexander Sosnowski Der neue
Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, hat
Sosnowskis Buch "Das Georgien-Syndrom" in Berlin vorgestellt. Der
FDP-Politiker sieht knapp zwei Jahre nach dem Krieg eine bedenkliche
Menschenrechtssituation in den abtrünnigen Gebieten und in
Rest-Georgien. Politisch Andersdenkende würden verfolgt, die
Medienfreiheit sei eingeschränkt, Menschen säßen im Gefängnis, weil sie
ihre Meinung gesagt haben, zählt Lüning auf. "Davon versucht Präsident
Saakaschwili oft abzulenken, aber seine Menschenrechtsbilanz ist keine
besonders gute."
In Deutschland hört man davon derzeit wenig. Das bedeute aber nicht, dass sich der Konflikt beruhigt habe, so Sosnowski: "Von beiden Seiten laufen Vorbereitungen zum neuen Krieg. Davon gehe ich aus. Ich war in Abchasien, ich war in Süd-Ossetien, ich war in Georgien, und ich habe festgestellt, dass alle drei nicht mit dem Ergebnis des Krieges vom August 2008 zufrieden sind. Ich glaube, es kommt noch was."
Georgien braucht jetzt eines: Zeit
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mit der Bildunterschrift: Im
April 2010 erschienen: Das Georgien-SyndromAlexander
Sosnowski kennt die heutige Konfliktregion seit seiner Kindheit. Er
kennt sie als ein Georgien, in dem die verschiedenen Volksgruppen ohne
Probleme zusammengelebt haben. Ähnlich wie im ehemaligen Jugoslawien ist
daraus Anfang der 1990er-Jahre ein blutiges Gegeneinander geworden.
Ereignisse, die weit zurück in der Geschichte liegen, wurden wieder
lebendig. Diese Geschichte müsse aufgearbeitet werden, um den
Georgien-Konflikt lösen zu können, sagt Sosnowski. Ein anderer
Lösungsansatz ist die Zeit. Georgien müsse sich mit seinen Forderungen -
ob legitim oder illegitim - "ein bisschen zurückhalten und abwarten.
Und wenn die Zeit kommt, dann kommen diese Völker wieder zusammen, davon
bin ich fest überzeugt, und die Region Groß-Kaukasus wird dann
wahrscheinlich irgendwann friedlich."
Das
Buch "Das Georgien-Syndrom", 234 Seiten, (ISBN: 978-3-86812-219-0) ist
beim Mauer-Verlag erschienen und kostet als Hard-Cover 22,80 Euro.
Autor: Peter Stützle
Redaktion: Julia Kuckelkorn
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